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Dezentrale Energieversorung
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Im folgenden stellen wir das vollständige Kapitel 2 in einer Online-Version vor

Kapitel 2 Dezentrale Energieversorung

1.  Die Stromversorgung
in Europa - heute


Plakat der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung

Die Stromversorgung in Europa ist heute, gut 100 Jahre nach dem Bau der ersten Elektrizitätswerke, zentral organisiert. Großkraftwerke speisen ihren Strom in ein flächendeckendes Hochspannungsnetz ein. Historisch ist das darin begründet, dass Kohlekraftwerke in der Nähe einzelner Lagerstätten bzw. Ölkraftwerke in der Nähe von Häfen gebaut wurden. Der Energieverbrauch findet aber früher wie heute dezentral auf der Nieder- bzw. Mittelspannungsebene in den Wohnungen und Unternehmen statt.

Einen Nachteil dieses Systems bekamen die Franzosen Ende Dezember 1999 zu spüren. Durch einen Orkan wurden viele Hochspannungsleitungen zerstört. 3,4 Mio. Personen waren zeitweise ohne Elektrizität. Es dauerte über 14 Tage, bis alle Haushalte aus den zentralen Großkraftwerken wieder beliefert werden konnten - es entstanden Schäden von rund 2,5 Mrd. Euro.

Produziert wird der Strom von großen Energieversorgungskonzernen, wie z.B. der RWE und e.on oder von lokalen Stadtwerken. Bis 1998 gab es festgelegte Versorgungsgebiete, in denen die einzelnen Versorger ein Gebietsmonopol hatten. Das entsprechende Gesetz stammt aus dem Jahre 1935. Alle Haushalte und Unternehmen wurden von einem bestimmten Stromversorger beliefert. Strom kam aus der Steckdose.

Das änderte sich 1998 mit der Liberalisierung des Strommarktes. Seitdem kann in Deutschland jeder grundsätzlich seinen Stromversorger selbst wählen. Eine Folge davon: Es wird immer schwieriger, die Auslastung großer Grundlastkraftwerke sicher zu stellen, da ein Stromproduzent nicht weiß, wie viele Kunden er in der langen Betriebszeit eines Kraftwerkes gewinnen und behalten kann.

Die Liberalisierung des Strommarktes änderte zwangsläufig das Selbstverständnis der Stromversorger. Zu Zeiten des Monopols hatten sie eine volkswirtschaftliche Gemeinschaftsaufgabe zu erfüllen. Heute haben sie sich zu reinen Wirtschaftsunternehmen gewandelt, deren Ziel es ist, möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften. Aus diesem Grunde haben einige Großkonzerne der Branche ihre Marktmacht genutzt und viele der kleineren Versorgungsunternehmen aufgekauft. Inzwischen ist ein Großteil der Stromversorgung in ganz Europa, einschließlich Osteuropa, im mehrheitlichen Besitz der Unternehmen e.on, Electricité de France und RWE.

Windkraftanlagen, Biomassekraftwerke und Fotovoltaikanlagen, die meistens von Privateigentümern betrieben werden, stellen aus Sicht der Großkonzerne eine potenzielle "Gefahr" für die konventionelle Stromversorgung dar. Schließlich möchte man die teuren Kraftwerke auch noch in den nächsten Jahrzehnten rentabel betreiben - und das geht nur, wenn möglichst viel Strom verkauft wird.

Interessant ist die historische Betrachtung der Stromversorgung, deren Wiege am Ende des 19. Jahrhunderts zu finden ist. Damals wurden mit dem Strom aus den Kraftwerken in erster Linie tagsüber Fabriken und nachts Straßenlaternen versorgt.

Nach dem Einsatz der Atombombe im zweiten Weltkrieg wollten die Wissenschaftler und Ingenieure aller Welt beweisen, dass eine friedliche Nutzung der Kernenergie möglich und sinnvoll ist. In den fünfziger Jahren gab es Visionen, dass in den achtziger Jahren Staubsauger mit Mini-Atomreaktoren betrieben werden.

So ist jede Generation in den letzten 100 Jahren mit einer anderen Sichtweise der Stromversorgung aufgewachsen. Dies ist deutlich an alten, aber auch aktuellen Veröffentlichungen über Energieversorgung zu erkennen. Es gibt kaum ein gesellschaftsrelevantes Thema, dass derart ideologisch diskutiert wurde und wird!

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die angesichts schwindender Ressourcen vehement den Umstieg auf Erneuerbare Energien fordern.
  

2.  Umstieg auf Erneuerbare Energien -
geht das überhaupt?

Viele Systeme zur Nutzung Erneuerbarer Energien und Energiespartechnologien sind in den vorhergehenden Kapiteln vorgestellt worden. Aber ist es möglich, die Energieversorgung vollständig auf Erneuerbare Energien umzustellen?

Immer wieder hört man Argumente, wie: "Mit Windenergie können wir unseren Strombedarf nicht decken", "In Deutschland scheint zu wenig Sonne", "Der Wind weht nicht immer", "Die Wasserkraft kann nicht weiter ausgebaut werden", "Erneuerbare Energien sind unwirtschaftlich". Viele dieser Argumente basieren auf dem Standpunkt, dass die "Erneuerbaren" erst dann Ernst zu nehmen sind, wenn sie Strom in der Größenordnung von Großkraftwerken rund um die Uhr produzieren. Es steht außer Frage, dass sie das nie tun werden. Häufig wird in diesem Zusammenhang der Begriff "Alternative Energien" benutzt. Dabei wird im selben Atemzug betont, wie gering die Potenziale Erneuerbarer Energien sind, um zu verdeutlichen, dass sie keine Alternative zur konventionellen Energieversorgung darstellen.

Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass diese Alternativen sehr wohl bestehen. Allerdings muss man sich dazu von alten Denkmustern lösen und bereit sein, neue Wege einzuschlagen.

So hat sich als erster großer Stromkonzern die RWE der dezentralen Energieversorgung verschrieben. Ihr Ansatz: In die Häuser werden in Zukunft Brennstoffzellen eingebaut, die neben Wärme auch Strom produzieren. Der Betreiber ist die RWE, die die Minikraftwerke je nach Bedarf zu- und abschaltet. So entsteht ein virtuelles Großkraftwerk, das zentral gesteuert wird.
Dies ist eine Möglichkeit, wie dezentrale Energieversorgung aussehen kann. In diesem Fall nicht mit Erneuerbaren Energien, sondern mit Erdgas.

3. Dezentrale Energiesysteme
in Europa

Niemand kann sich ein Kernkraftwerk in den Keller stellen. Mit einem Blockheizkraftwerk geht das aber sehr wohl. Man kann sein Haus mit Solarzellen und mit thermischen Solarkollektoren bestücken. Eine gute Wärmedämmung sorgt für geringen Heizverbrauch. Sparsame Elektrogeräte und die Vermeidung von Stand-by-Funktionen reduziert den Strombedarf. So lässt sich beim Verbraucher ohne Komfortverlust der Energiebedarf reduzieren bzw. selbst erzeugen - die fehlende Energie könnte ganz oder teilweise vor Ort produziert werden.

Dieses Szenario ist der Ansatz einer dezentralen Energieversorgung. Sie besteht aus vielen kleinen Kraftwerken, die sich in der Nähe der Verbraucher befinden. Je nach Standort können dies Windkraftanlagen, Biomasseanlagen, Blockheizkraftwerke, Wasserkraftanlagen, Fotovoltaikanlagen oder Brennstoffzellen sein.

Und nun fängt es an spannend zu werden: Natürlich weht nicht immer der Wind und es scheint auch nicht immer die Sonne. Manchmal wird mehr Wärme benötigt, manchmal braucht man Energie für Kühlanlagen. Im Laufe des Jahres, aber auch im Tagesverlauf, schwankt sowohl das Angebot an Erneuerbarer Energie wie auch die Nachfrage nach Strom, Wärme oder Kälte. Es gilt Wege zu finden, um Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen. Dass dabei auf fossile Energieträger verzichtet werden kann, zeigt die Studie der LTI-Research Group. Mit Computerprogrammen wurde berechnet, dass die Versorgung Europas bereits mit heutigen Technologien zu 100% mit Erneuerbaren Energien möglich ist. Durch Messungen konnte nachgewiesen werden, dass z.B. in Zeiten, an denen die Sonne nicht oder wenig scheint, meistens Wind weht.

Bereits heute wird der Betrieb der Großkraftwerke auf die unterschiedliche Stromnachfrage angepasst. So genannte Spitzenlastkraftwerke werden in Zeiten starker Nachfrage zugeschaltet. Reservekraftwerke übernehmen die Produktion, wenn ein Kraftwerk ausfällt. Das funktioniert so gut, dass es heutzutage in Mitteleuropa sehr selten zu Stromausfällen kommt.

Marketingstrategen entwickeln Produkte, die sowohl für den Kunden interessant sind, als auch die Auslastung der Kraftwerke erhöhen. Damit sinken die Kosten für die Stromproduktion.

Für einen mittelständischen Betrieb kann es sich durchaus lohnen, wenn die Stromnachfrage betriebsintern optimiert und z.B. eine Lastabwurfschaltung eingebaut wird. Ein solches Gerät trennt nach einem genauen Programm "unwichtige" Maschinen vom Netz, wenn der Strombedarf zu hoch wird. Dadurch verringern sich die Kosten für eine Kilowattstunde Strom, weil der Energieversorger diese Lastspitze nicht bereit stellen muss. Entsprechend unterschiedliche Tarifstrukturen werden angeboten bzw. weiterentwickelt.


Durch Internet, Satellitentechnik und Gebäudeleittechnik lassen sich Verbraucher und Erzeuger vernetzen und mit intelligenter Software aufeinander abstimmen. Flächendeckende Wetterstationen ermöglichen eine sehr genaue Kurzfristvorhersage. Die Produktionsmengen von Wind- und Solarstrom können damit sehr präzise vorhergesagt werden, aber auch der kurzfristige Bedarf an Wärme und Kälte in Abhängigkeit von der Außentemperatur.
  


Dezentrales Energiesystem, gesteuert durch ein intelligentes IT-Management System (Quelle: Siemens)
      
 

Diese dezentralen Versorgungsstrukturen haben - auch in anderen Gesellschaftsbereichen - viele Vorteile:

  • Wenn ein kleines Kraftwerk ausfällt, kann es einfacher durch ein anderes ersetzt werden.
  • Der Bau, die Wartung und Instandhaltung der Anlagen ermöglichen lokalen Firmen ein Einkommen.
  • Die versteckten, externen Kosten der Energieversorgung verringern sich, z.B. bedeuten weniger schädliche Emissionen weniger Krankheiten und damit eine finanzielle Entlastung des Gesundheitssystems.
  • Die Abhängigkeit von Energieimporten und deren Preisschwankungen nimmt ab.

Die Europäische Union hat dies erkannt und sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 12% des Stroms durch Erneuerbare Energien zu decken. Es gibt dazu ein so genanntes "Weißbuch" aus dem Jahre 1999. Es wird seit 2000 flankiert durch ein "Grünbuch" zur Sicherheit der zukünftigen Energieversorgung. Ein Ziel des Weißbuches für Erneuerbare Energieträger ist es, 100 Städte, Kommunen oder Inseln zu 100% mit Erneuerbaren Energien zu versorgen. Viele sind diesem Aufruf inzwischen gefolgt und arbeiten an Umsetzungsstrategien - nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
  

4. Der Aufbau von Energiesystemen in Entwicklungsländern

Ganz anders sieht die Situation in vielen Entwicklungsländern aus. Dort gibt es insbesondere im ländlichen Bereich selten ein zentrales Stromnetz. Manchmal werden Dieselgeneratoren benutzt, um Bewässerungspumpen anzutreiben oder Schulen und Krankenhäuser zu versorgen.

Auch diese Menschen träumen davon, sich Wohlstand zu erarbeiten. Dazu gehört eine Lampe, ein Radio oder Fernsehgerät, später vielleicht ein Kühlschrank. Da es am Äquator bereits um 18 Uhr dunkel ist, ermöglicht Elektrizität den Menschen, auch nach Einbruch der Dunkelheit zu arbeiten und Geld zu verdienen oder z.B. an einer Schule Schreiben zu lernen. So genannte Solar-home-systems werden in Entwicklungsländern zu Tausenden verkauft und stellen eine große Arbeitserleichterung dar. Bezahlt werden sie kaum noch mit Fördergeldern, sondern zunehmend durch die Eigentümer selbst. Wie schafft man das ohne staatliche Förderprogramme? Die Menschen erhalten einen so genannten "Mikrokredit". Mit diesem Kredit können sie ein Solar-home-system kaufen. Eine solche Anlage hat für den Besitzer einen besonderen Stellenwert. Er hat großes Interesse daran, dass sie lange funktioniert. Solche Kleinanlagen können gewöhnlich durch lokale Handwerker repariert werden und sind - bei steigendem Strombedarf - leicht erweiterbar. Ähnliche Ansätze gibt es beim Bau von Miniwasserkraftwerken in Nepal oder Biogasanlagen in Südost-Asien. Der Bau großflächiger Überlandnetze ist in dünn besiedelten Regionen oft unwirtschaftlich.


Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien sind nicht so komplex wie Großkraftwerke. Damit besteht in diesen Ländern viel eher die Möglichkeit, diese Technik im eigenen Land zu produzieren. Mehr noch, sie können sie mit eigener Kraft auf ihre Bedürfnisse hin optimieren und weiter entwickeln. Eigenständige Vertriebs- und Servicestrukturen schaffen lokale Arbeitsplätze.

Viele Kriege, gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern werden heute um Rohstoffe, z.B. um Erdöl oder Erdgas geführt. Wenn der Rohstoff nicht mehr benötigt wird, weil er durch Solarenergie ersetzt werden kann, fällt die Konfliktursache weg. Statt in Waffen zu investieren und damit die Abhängigkeit von den Industrieländern zu erhöhen, kann das Geld in den Aufbau des Landes fließen.

5. Fazit

Die Umstellung der Energieversorgung von fossilen Energieträgern auf Erneuerbare Energieträger ist bereits mit heutigen Technologien möglich.

Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, auch für 2050 ist die 100 prozentige Versorgung durch Erneuerbare Energieträger eher unwahrscheinlich. Noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wird eine starke Verknappung und damit einhergehende Verteuerung fossiler Energieträger eintreten. Selbst Uran, Brennstoff für Atomkraftwerke, steht nicht unbegrenzt zur Verfügung. Sollte die Atomenergie weiter ausgebaut werden, ist auch diese Ressource schnell aufgebraucht. Wirklich zuverlässig, sicher und mit einer überzeugenden langfristigen weltweiten Verfügbarkeit ausgestattet ist nur ein einziger Reaktor: die Sonne.

Wichtig ist es, zu erkennen, wie sehr politische und unternehmerische Machtstrukturen Einfluss auf die weltweite Energieversorgung haben. Das kann man diesen Unternehmen in einer freien Marktwirtschaft nicht zum Vorwurf machen. Aber es ist wichtig, dass wir uns gesellschaftspolitisch mit diesem Thema auseinandersetzen und nicht das Wort einigen Wenigen mit einer speziellen Sichtweise der Dinge überlassen.
  

6. Referenzen:

Bücher und Zeitschriften
  • The LTI-Research Group (ed., 1998): Long-Term Integration of Renewable Energy Sources into the European Energy System, Physica-Verlag, Heidelberg/New York
    Studie über die Möglichkeit einer 100prozentigen Versorgung Europas mit Erneuerbaren Energien
  • Lehmann, H. (2000): "Ein solares Energieversorgungskonzept für Europa", Zeitschrift Solarzeitalter 3/2000 von Eurosolar e.V., Bonn
    Studie über die Möglichkeit einer 100%en Versorgung von Europa mit Erneuerbaren Energien (Zusammenfassung)
  • Mouchot, A. (1987), Die Sonnenwärme und ihre industriellen Anwendungen, Olynthus Verlag
    Neuauflage der Veröffentlichung von 1879. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden bereits Solarempfänger und Solar-Dampfmaschinen entwickelt.
  • Scheer, H. (1999): Solare Weltwirtschaft. Strategie für die ökologische Moderne., A. Kunstmann Verlag
    In seinem Buch zeigt der Autor mögliche Wege in eine ökologische Moderne auf und entwirft konkrete politische Handlungskonzepte für die Nutzung der Sonnenenergie
Internet

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Stand: 15.01.03/zgh Thema:   Energie  > Erneuerbare Energien      Agenda 21 Schule zur Themenübersicht zum Oberthema zum Seitenanfang

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